Datenschutzrisiken durch KI: Wenn klassische Sicherheitskonzepte nicht mehr reichen
Was wäre, wenn eine harmlose KI-Abfrage plötzlich die Gehälter aller Mitarbeiter verrät? Mit Tools wie Microsoft Copilot verändert sich die Informationsnutzung im Unternehmen rasant: schneller, vernetzter, automatisierter. Doch mit diesen Chancen wächst ein unsichtbares Risiko. Klassische Sicherheitskonzepte geraten an ihre Grenzen, weil KI nicht nur Daten abruft – sie erschließt Inhalte, verknüpft Informationen und zieht Schlüsse, die niemand vorgesehen hat.
Der EU AI Act und steigende Datenschutzanforderungen zeigen, wie ernst dieses Thema ist. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum KI das Berechtigungsmodell aushebelt, wie sensible Daten ungewollt sichtbar werden und welche Maßnahmen Unternehmen jetzt ergreifen müssen, um Datenschutzrisiken durch KI effektiv vorzubeugen.
KI verändert die Spielregeln der IT-Sicherheit
Klassische IT-Sicherheitskonzepte setzen auf klare Grenzen: Zugriffsrechte, Firewalls, Verschlüsselung. Wer keine Berechtigung hat, sieht auch keine vertraulichen Daten. So einfach war lange Zeit die Regel. Mit KI-Tools wie Microsoft Copilot verschiebt sich diese Logik jedoch grundlegend und führt zu folgenden Umbrüchen:
- Inhaltliches Schlussfolgern statt direktem Zugriff
KI muss nicht direkt auf eine Datei zugreifen, um ihren Inhalt „zu kennen“. Schon ein einzelner Lohnzettel oder wenige Metadaten können reichen, damit ein Modell den Rest erschließt. Klassische Zugriffsrechte greifen hier zu kurz – neue Schutzmechanismen sind gefragt. - Kontextuelle Rekonstruktion als neuer Angriffsvektor
Aus verstreuten Informationen kann KI Muster ableiten und damit Inhalte rekonstruieren, ohne jemals auf die Originaldaten zuzugreifen. Doch die Antworten sind nicht immer korrekt und schon gar nicht stabil. Das macht die Risiken schwer kalkulierbar. - Blackbox-Verhalten statt deterministischer Regeln
Anders als klassische Software folgt KI keinen festen Programmabläufen. Jede Anfrage kann zu neuen Interpretationen führen – nachvollziehbar oder nicht. Auditierbarkeit und Vorhersagbarkeit sind deutlich eingeschränkt. - Prompts als neue Schwachstelle
Wie beim Social Engineering können Nutzer – bewusst oder unbewusst – durch geschickte Prompts sensible Daten freilegen. Eine einfache Abfrage kann im worst-case plötzlich interne Informationen ans Licht bringen. - Fehlende Transparenz und Verkettung von Datenquellen
Unternehmen setzen auf Segmentierung, um Dateninseln zu schützen. KI kann diese Grenzen überschreiten, verschiedene Systeme logisch verknüpfen und dabei Datenquellen nutzen, deren Zusammenhang vorher nicht erkennbar war. - „Unabsichtliche“ Offenlegung im Unternehmensinneren
Frühere Enterprise-Search-Lösungen haben bereits gezeigt, dass sensible Daten nicht nur vor externen Angriffen, sondern auch intern geschützt werden müssen. Mit KI steigt diese Herausforderung auf eine neue Ebene: Informationen können durch scheinbar harmlose Abfragen offengelegt werden.
Die hier angeführten Umbrüche zeigen deutlich: KI ist nicht einfach ein weiteres IT-Tool. Sie stellt eine völlig neue Risikokategorie dar, die Datenschutz, Compliance und Informationssicherheit gleichermaßen betrifft und neue Antworten erfordert.
Warum KI die Berechtigungslage aushebelt
Auf den ersten Blick klingt es beruhigend: Microsoft betont immer wieder, dass Copilot das bestehende Berechtigungsmodell respektiert. Wer keine Zugriffsrechte hat, sieht auch keine sensiblen Inhalte – so die Theorie. Doch die Praxis zeigt ein differenzierteres Bild: Microsoft selbst verweist auf Ausnahmelisten, die Unternehmen aktiv pflegen müssen. Nur wenn sensible Daten explizit von der KI-Suche ausgeschlossen werden, bleiben sie auch wirklich verborgen.
Die Warnung ist deutlich: Technisch verfügbare Daten könnten für KI-Systeme zugänglich sein, auch wenn sie aus rechtlicher oder organisatorischer Sicht nicht genutzt werden dürfen.
Die KI weiß nicht, was sie nicht wissen darf
Eine Studie von Mireshghallah et al. (2023) unterstreicht diese Gefahr. Sie zeigt, dass große Sprachmodelle wie GPT-4 Inhalte rekonstruieren oder kontextuell erschließen können, ohne jemals direkt auf die geschützte Datei zuzugreifen. Zwar nennen sie keine konkreten Dateinamen oder Pfade, liefern aber präzise Hinweise auf interne Informationen. Ein Indiz dafür, dass das Modell die Daten im Hintergrund verarbeitet hat.
Das zentrale Problem: KI kennt keine organisatorischen Absichten. Sie folgt rein technischen Zugriffspfaden und Kontextlogiken. Wenn Daten verfügbar sind, können sie in Antworten einfließen, selbst wenn Menschen entschieden haben, dass sie es nicht sollten.
Wenn die KI mehr weiß, als sie sollte: Drei Praxisbeispiele
Wie real die Risiken durch KI im Unternehmenskontext sind, zeigen typische Alltagsszenarien. Sie machen deutlich: Nicht der direkte Zugriff auf eine Datei ist das Problem, sondern die Fähigkeit der KI, verstreute Informationen zu verknüpfen und daraus neue Schlüsse zu ziehen.
Beispiel #1 – Finanzdaten: Gehaltsdetails aus dem „Nichts“
Ein Teamleiter fragt den KI-Assistenten im Intranet: „Wie haben sich die Gehälter der Abteilung X in den letzten fünf Jahren entwickelt?“
Die Antwort ist erschreckend präzise, inklusive konkreter Summen und sogar Namen ehemaliger Mitarbeiter.
Dabei liegt die eigentliche Gehaltsübersicht längst archiviert in einem verschlüsselten Ordner. Doch die KI hat frühere Konversationen, Dateinamen und E-Mail-Inhalte kombiniert und daraus eine überraschend korrekte Rekonstruktion erstellt.
Beispiel #2 – Personalhistorie: „Ist Frau Müller wieder zurück?“
Ein Kollege fragt: „War Frau Müller nicht mal in der Projektleitung tätig?“
Die KI antwortet: „Ja, Frau Müller war von 2019 bis 2022 Projektleiterin im Bereich IT Transformation.“
Brisant: Frau Müller ist seit Jahren aus dem Unternehmen ausgeschieden, und die offiziellen Personalakten sind längst nicht mehr zugänglich. Doch aus Kalenderdaten, alten Meetingnotizen und E-Mail-Fußzeilen konnte die KI diese Information dennoch ableiten. Jeder hinterlässt einen digitalen Fußabdruck – und die KI nutzt ihn.
Beispiel #3 – Gesundheitsdaten: „War das ein Burnout?“
Eine Führungskraft fragt: „Warum war Herr Schmitt letztes Jahr so lange krank?“ Die KI antwortet: „Laut mehreren Team-Notizen gab es Hinweise auf eine stressbedingte Auszeit, möglicherweise im Zusammenhang mit einem Burnout.“
Keine einzige medizinische Akte wurde geöffnet. Stattdessen stützt sich die KI auf Statusmeldungen („arbeitet unter hohem Druck“), Projektabmeldungen, Kalendereinträge und Chatprotokolle. Und zieht daraus ihre Schlüsse. Der Eindruck ist eindeutig, obwohl keine sensiblen Daten direkt offengelegt wurden.
Handlungsempfehlungen: Technische und organisatorische Schutzmaßnahmen
Der Umgang mit KI im Unternehmen erfordert ein neues Sicherheitsverständnis. Es geht nicht nur um Technik, sondern auch um klare Prozesse und eine gelebte Sicherheitskultur. Folgende Maßnahmen helfen, Risiken wirksam zu reduzieren.
Technische und organisatorische Maßnahmen
- Zero-Trust-Architektur: Jeder Zugriff wird konsequent autorisiert – auch für KI-Systeme.
- Regelmäßige Audits & Berechtigungsanalyse: Sensible Daten identifizieren, Zugriffe prüfen und überflüssige Berechtigungen entziehen.
- Content-Klassifikation & Labeling: Mit Lösungen wie Microsoft Purview sensible Daten automatisch erkennen und mit Sensitivity Labels versehen.
- Explizite KI-Konfiguration: Bestimmte Ordner oder Datenquellen gezielt ausschließen und Ausnahmelisten regelmäßig pflegen.
- Data Loss Prevention (DLP): Datenabfluss verhindern und DLP-Richtlinien kontinuierlich überwachen.
- Inference-Privacy-Tests: Szenarien wie in der Studie von Mireshghallah et al. simulieren, um potenzielle Datenschutzlücken aufzudecken.
Kulturelle und organisatorische Maßnahmen
- Schulungen für Mitarbeiter: Bewusstsein schaffen, welche Fragen an KI-Systeme sensible Informationen berühren könnten.
- Klare Policy Governance: Rollen und Verantwortlichkeiten festlegen – wer definiert KI-Richtlinien, wer kontrolliert Ausnahmen?
- Dokumentation & Monitoring: Eine transparente Datenlandkarte erstellen, die zeigt, wo sensible Daten liegen und wie sie genutzt werden.
Mein Tipp: Nur wenn Technik, Prozesse und Kultur zusammen spielen, können Unternehmen die Chancen von KI nutzen, ohne Datenschutzrisiken zu übersehen.
Mein Fazit: Sicherheit denken, noch bevor KI aktiv wird
KI-Tools wie Microsoft Copilot eröffnen enorme Chancen für Produktivität und Innovation. Doch sie bringen auch neue Risiken mit sich: Kein direkter Datenzugriff bedeutet nicht, dass Informationen nicht verarbeitet werden. Wer erst nach der Einführung über Datenschutz nachdenkt, kommt zu spät. Denn sobald die KI aktiv ist, hat sie bereits Wissen gesammelt, das sich nicht einfach zurückdrehen lässt.
Deshalb gilt: Technik, Prozesse und Unternehmenskultur müssen von Anfang an ineinander greifen. So wie früher gefragt wurde, wie ein neues System in die Unternehmensstrategie passt, muss heute geprüft werden:
- Darf die KI auf diese Daten zugreifen?
- Wie weit darf dieser Zugriff gehen?
- Und wie wird sichergestellt, dass sensible Informationen geschützt bleiben?
Unternehmen, die jetzt handeln, können die Vorteile von KI nutzen, ohne ihre Datenschutz- und Compliance-Pflichten zu gefährden.